Unsere Unfähigkeit, einfach nur zu „sein“. Der ständige Zwang, sich zu zerstreuen, um damit die innere Leere zu bekämpfen, die laut Blaise Pascal eine Folge des durch die Trennung von Gott verursachten seelischen Schmerzes ist (nachzulesen in den Pensées). Wir leben in einem Zeitalter, in dem diese Zerstreuung einfacher ist denn je. Anders gesagt: Habe mir gerade das OS 7-Update für mein iPhone runtergeladen.
Die Erkenntnisse des Mathematikers und Philosophen Pascal (der 1662, also vor der Erfindung des Smartphones starb) decken sich weitgehend mit denen von Louis C.K., wie er sie neulich in der Late-Nite-Show von Conan O'Brien zum Ausdruck brachte. Was wieder einmal belegt, dass man die wirklich entsetzlichen Dinge des Daseins am treffendsten in der Komödie zum Ausdruck bringen kann:
Zwei meiner absoluten Lieblingsserien sind am Ende.
Es ist wie früher, als man noch Romane las, und sich vor dem Moment fürchtete, das Buch für immer zuklappen zu müssen.
Gerade musste ich von "Dexter" Abschied nehmen, als nächstes ist Walter White dran. Habe dazu auch ein kleines Stück im print-handout von BILD verfasst, das auf bild.de nachzulesen ist (hier).
Ich werde sie vermissen, den liebenswerten Massenmörder, den krebskranken Drogentycoon.
Tant pis, "Krieg und Frieden" kann man auch mehrmals lesen, also fang ich vielleicht einfach wieder mit den "Sopranos" von vorne an...
... dann habe ich wieder etwa 4000 Stunden vor mir.
Den Stellenwert, den TV-Serien in unserer Kultur inzwischen einnehmen, bringt übrigens dieses Video gut auf den Punkt:
Mit dem „Stinkefinger“ hat sich schon der Philosoph
Ludwig Wittgenstein (1889-1951) beschäftigt.
Zeitlebens plagte ihn nämlich die Frage, ob alles,
was wahr ist, auch in Worten zu fassen sei. „Nein!“, war letztlich seine Antwort. Nicht zuletzt
deshalb nämlich, weil Gesten subtilere und weniger eindeutige Botschaften haben
können als Worte.
Steinbrücks Stinkefinger ist das perfekte Beispiel. Zeigt er damit seinen Kritikern, dass er wütend ist?
Ist es eher
eine Geste der Verachtung?
Oder beides?
Auch wandelt sich die Bedeutung von Gesten (und
Worten) mit der Zeit. Was gestern noch hardcore Rock’n’Roll war, macht
morgen schon jeder Spießer. Kürzlich war erstmals in der Geschichte der
alt-ehrwürdigen „New York Times“ das Wort „Fuck“ zu lesen. Komplett
ausgeschrieben (statt F***). In den Medienblogs wurde das
hochtrabend zur kulturellen Zäsur, zu einer Art publizistischem Mauerfall
hochstilisiert.
Uns ordinäreren Medien erschwert dieser „Tabubruch“ übrigens
das Geschäft. Wenn DIE von der feinen „Times“ das dürfen, verschiebt sich für
uns wiederum auch die „rote Linie“. Anders, prägnater formuliert:
Shit! Piss!Fuck!
Motherfucker! Cunt! Cocksucker!
Und im US-Fernsehen? DER Hort der absolutistischen
Political Correctness? Auch hier fallen die Tabus.
Ich habe unten einen Clip von Louis C.K. angefügt.
Darin demonstriert er auf charmante Art, wie man Wort-Tabus
unterlaufen kann, OHNE dabei jemanden zu beleidigen.
Manche Gesten haben auch regional vollkommen
verschiedene Bedeutungen.
Wenn wir zeigen wollen, das alles „supi“ ist, deuten
wir mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis an. Probier das mal in irgendwo in Spanien
(... und sammle danach deine Zähne auf der Straße auf).
Der Stinkefinger wiederum hat auf der ganzen Welt
die eine, universelle Botschaft. Ob in den Anden oder in der Westsahara, jeder weiß, was damit
gemeint ist: Fuck you! Beziehungsweise:
Vaffanculo! Denn ähnlich der
neapolitanischen Pizza kam die Geste von Süditalien nach Amerika – und machte
von dort aus Weltkarriere.
Über
die Ursprünge wurde lange gestritten. Manche behaupten, die Geste stamme aus
dem 14. Jahrhundert.
Die Franzosen pflegten im Hundertjährigen Krieg gefangenen
englischen Bogenschützen die Mittelfinger abzuhacken, damit die ihre
gefürchteten Waffen nie mehr benutzen konnten. Die Engländer zeigten mit der
Geste also Trotz und Todesverachtung.
Diese
Theorie wurde aber längst widerlegt – und zwar vom Historiker Desmond Morris in
dem Buch „Gestures: Their Origins and Distribution“.
Morris hat nachgewiesen,
dass die Geste als obszöne Beleidigung bereits im antiken Rom verbreitet
war.
Der sogenannte digitus impudicus
(unverschämte Finger) taucht erstmals in einem Text im Jahre 330 v. Chr. auf (in
einer Abhandlung über zeitgenössische Denker von Diogenes Laertius).
Im
alten Rom war der ausgestreckte Mittelfinger, sagt auch Alexander Baur von der
Universität Tübingen, eine Bestrafungs- und Demütigungsgeste. „Es war eine
eindeutig sexualisierte Geste, ein Phallussymbol als Drohgebärde“. „Das war
damals sehr unangenehm, weil es um den Finger im Hintern als Demütigung ging”, so
Baur. Womit sich Wissenschaftler so alles beschäftigen...
Kurz
zurück in unser Zeitalter.
In
den USA musste vor paar Jahren die Biermarke „Bad Frog Beer“ vom Markt genommen
werden, weil auf dem Etikett ein Frosch (!) abgebildet war, der den
„Mittelfinger“ zeigte. Im Bundesstaat Colorado wurde ein Mann unlängst zu sechs
Monaten Haft verurteilt, weil er einem Polizisten den Mittelfinger gezeigt
hatte. Als beim Super Bowl vergangenes Jahr die Sängerin MIA vor 114 Millionen
TV-Zuschauern den Mittelfinger hob, war das ein riesiger Skandal. Der
Football-Verband (NFL) und der Fernsehsender (NBC) mussten zu Kreuze kriechen
und das amerikanische Volk um Vergebung anflehen.
Merke: Man darf mit
Hakenkreuz rumlaufen, öffentlich den Koran verbrennen, das ist alles vom „First
Amendment“ der Verfassung (Recht auf freie Meinungsäußerung!) gedeckt.
Aber
Stinkefinger? DAS geht zu weit.
Und in Deutschland?
Stinkefingerzeigen erfüllt
hier den Tatbestand der Beleidigung nach §185 StGB. Wer so z.B. einen Beamten
beleidigt, muss mit Anklage und Geldstrafe (ca. 4000 Euro) rechnen. Und wer
seinem Arbeitgeber den Stinkefinger zeigt, kann dafür entlassen werden, weil
eine solche Beleidigung einen „wichtigen Grund“ gemäß § 626 Abs. 1 BGB für eine
außerordentliche, „verhaltensbedingte“ Kündigung darstellt.
Fuck!
PS: Obiger Text erscheint heute in dieser oder ähnlichen Form auf bild.de