Dienstag, 27. September 2016

Der widerwillige Reaktionär


Frank Schirrmacher (nicht „Frank“, wir haben uns nie geduzt) hätte seine Freude am gestrigen Abend gehabt. Er liebte die Provokation, Michel Houellebecq war daher der ideale Preisträger des nach ihm benannten Preises

Die Einführungsworte von Michael Gotthelf, dem Co-Präsidenten der Frank-Schirrmacher-Stiftung, waren geschäftsmäßig nüchtern, die Laudatio der Islamkritikerin Necla Kelek seltsam farblos, aber dann kam ER. 

Michel Houellebecq wirkt gepflegt (er hat eine neue Begleiterin an seiner Seite), er wirkt ruhig, souverän, gelassen. Er spricht in glasklarem Französisch. Das deutsche Redemanuskript wurde zuvor verteilt.
 
Michel Houellebecq bei der Dankesrede
im Atrium des FAZ-Gebäudes in Berlin
Seine Rede, hier im Original nachzulesen, ist im zarten, unaufgeregten Ton gehalten (hier sogar ein Video-Mitschnitt), beschreibt dabei aber den erbärmlichen Zustand der europäischen Linken und prophezeit den Untergang des geistig entkernten Europas. Den dogmatischen Liberalismus der westlichen Elite beschuldigt er, alle mit dem Etikett „reaktionär“ aus der Gemeinschaft der intellektuell Satisfaktionsfähigen auszuschließen, die den neo-liberalen Konsens nicht teilen:

„Ein Kommunist oder jeder, der sich den Gesetzen der Marktökonomie als letztem Ziel widersetzt, ist ein Reaktionär. Ein Anhänger staatlicher Souveränität oder jeder, der strikt gegen die Auflösung seines Landes in einem föderalen europäischen Raum ist, ist ein Reaktionär. Jemand, der den Gebrauch der französischen Sprache in Frankreich verteidigt oder jenen jeder anderen Nationalsprache in ihrem jeweiligen Land und der sich der universellen Verwendung des Englischen entgegenstellt, ist ein Reaktionär. Jemand, der der parlamentarischen Demokratie und dem Parteiensystem misstraut, jemand, der dieses System nicht als die Ultima Ratio politischer Organisation begreift, jemand, der es gerne sähe, dass der Bevölkerung öfter das Wort erteilt wird, ist ein Reaktionär. Jemand, der dem Internet und den Smartphones wenig Sympathie entgegenbringt, ist ein Reaktionär. Jemand, der Massenvergnügungen so wenig mag wie organisierten Tourismus, ist ein Reaktionär.“

Vereinzeltes Kopfschütteln im Publikum. Räuspern. Am Ende dann noch höflicher Applaus. Danach verschwindet er auf eine Zigarette. 

Leider rauche ich (derzeit) nicht, dennoch konnte ich mich für einen Moment zu ihm stellen. „Je suis un grand admireur“, stottere ich. Er lächelt und sagt gnädig: „Admi-RA-teur! Mais, on peu dire admireur je crois ...“ I love him!

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