Sonntag, 6. September 2020

Über den Umgang mit Andersdenken

Wir sind sehr vorsichtig, mit welchen Begriffen wir hantieren, wenn wir über Menschen mit anderer Hautfarbe sprechen. Das ist erfreulich, verrät es doch eine wachsende Sensibilität im Umgang miteinander. Noch erfreulicher wäre, wir würden Takt auch im Umgang mit jenen pflegen, die anders denken. 

Der scheinbar überlegene Ton, den manch aufgeklärt-progressive  Großstadtmenschen an den Tag legen, wenn sie über die "armen Irren" aus der Provinz sprechen, die sich gegen viele der Corona-Maßnahmen auflehnen, ist deplatziert und streng genommen ebenfalls eine Form von "Rassismus", jedenfalls eine Form von Geringschätzung Andersartiger. 

Das Amalgam, das sich neulich zum Teil abstruse Theorien verbreitend durch Berlins Straßen schob als "Rechtsradikale, Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker" abzutun, ist leicht zu entkräftender Schwachsinn. Ein erstaunlich großer Anteil der genervten Bürger besteht wohl auch aus dem, was Dirk Schümer  "Narrensaum der grünen Bewegung" nennt, darunter Impfgegner und Veganer, Mobilfunkhasser, libertäre Grasraucher, Globalisierungsfeinde, Wachstumskritiker, Esoteriker, Hare Krishna-Jünger und einfach trotzige Schwaben, denen unserem Treiben in der Großstadt suspekt ist.

Auch ich mache mich gelegentlich über Leute lustig, die Kristalle in ihr Wasser legen, damit es mit irgendwelchen Energien auflädt und von Leuten, die auf Bachblüen-Therapien würde ich mir wahrscheinlich auch nicht die Welt erklären lassen und ja, manche der Aufschriften auf den Plakaten bei der Corona-Demo in Berlin waren irrsinnig bis verstörend, aber man sollte sich dafür hüten, die Leute, die da ihrem diffusen Unbehagen Luft verschafften, verächtlich zu machen und zu verhöhnen, wie es in aufgeklärt-urbanen Kreisen zum guten Ton zu hören scheint.

Wer sich je mit der Geschichte des Rassismus beschäftigt, wird übrigens darauf stoßen, dass die anthropologische Rassentheorie, zu der auch der rassistische Antisemitismus gehört, zunächst auf das eigene Volk gerichtet war. In Frankreich war zum Beispiel lange die Mentalität verbreitet, der Adel sei germanischer Ankunft, während das rebellierende Volk von den unterworfenen Kelten abstamme. Die Verachtungslinien verliefen also mitten durch die eigene Bevölkerung. Selbst ein Walter Rathenau, 1922 Außenminister der Weimarer Republik, ein hoch geachteter Liberaler, sprach in einer Schrift aus dem Jahr 1912 noch darüber, dass auch in Deutschland seit der Völkerwanderzeit eine dünne germanische "Herrenschicht" über eine Majorität minderwertiger Ureinwohner geherrscht habe.

Sitzt die "Herrenschicht" heute am Prenzlauer Berg und in München Schwabing und schaut gönnerhaft bis verächtlich auf die unaufgeklärten Massen aus der Provinz herab? 

Es scheint oft so. Jedenfalls täten wir gut daran, in puncto Vokabular ein wenig abzurüsten. Auf beiden Seiten. Dass "das Establishment" in der Regel immer verächtlich auf neuartige Prostestbewegungen reagiert und diese dann mit ein paar Jahren Abstand oft ganz anders bewertet werden, daran erinnere ich in diesem kurzen Video.







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